Wie beim Editieren von Texten oder Filmen geht es bei der Genom-Editierung darum, einzelne Abschnitte zu bearbeiten - in diesem Fall der pflanzlichen Erbinformation in Form von DNA. Der Begriff steht für eine Reihe von Methoden, die es ermöglichen, DNA gezielt zu verändern. Genau genommen geht es darum, Mutationen nicht zufällig irgendwo, sondern in ausgewählten DNA-Abschnitten zu erzeugen. Die bekannteste Methode zur Genom-Editierung leitet sich vom mikrobiellen Immunsystem „CRISPR-Cas“ ab und nutzt daraus die Genschere Cas9 und ein Navigationssystem (gRNA)
Anhand der Sequenzinformation aus der Pflanze wird am Computer die Zielsequenz bestimmt. Die Lage der Zielsequenz innerhalb das Gens ist unter anderem davon abhängig, welche Art der Veränderung gewollt ist - also ob das Gen beispielsweise abgeschaltet oder seine Funktion verändert werden soll.
Im Labor werden die Bauanleitungen für die Genschere und die zielspezifische gRNA (das Navigationssystem) zusammengesetzt und in Agrobakterien übertragen.
Mithilfe der Agrobakterien werden die Bauanleitungen für die Genschere und die gRNA in Zellen unreifer Embryonen übertragen, die zuvor aus sich entwickelnden Getreidekörnern isoliert wurden.
Dann entwickeln sich aus den Embryonen wieder ganze Pflanzen. Dafür wachsen sie im Lichtraum auf unterschiedlichen Nährmedien, über deren hormonelle Zusammensetzung die Entwicklung gesteuert wird: Zunächst wird unspezifisches Zellwachstum induziert, es entstehen Zellhaufen, sogenannte Kalli. Aus diesen entwickeln sich in einer zweiten Phase Sprosse und Blätter und anschließend Wurzeln.
Sobald die Pflänzchen ausgebildet sind, kommen sie in Erde ins Gewächshaus und wachsen wie ganz normale Pflanzen weiter. In dieser Zeit werden erste Blattproben genommen. Daraus wird die DNA isoliert und der Genbereich sequenziert, in dem die Genschere aktiv sein sollte. So wird überprüft, ob und welche Mutationen entstanden sind.
Der Einsatz der Genschere bringt auch die Pflanzenzüchtung voran. Verglichen mit konventionellen Züchtungstechniken ist die Methode präziser und führt schneller zum Ziel. Zugleich hat sie nicht mehr die Nachteile der gentechnischen Verfahren der ersten Generation, bei denen häufig nicht steuerbar ist, an welcher Stelle im Erbgut sich ein neues Gen oder Genelement einfügt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Genomeditierte Pflanzen lassen sich - anders als die meisten Produkte der klassischen Gentechnik - in der Regel nicht von solchen Pflanzen unterscheiden, die auch durch natürliche genetische Veränderungen (Mutationen) oder herkömmliche Züchtung entstehen können.
Im Sommer 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil entschieden, dass sowohl Genom-Editierung als auch klassische Mutagenese als gentechnische Verfahren definiert sind, aber nur die genomeditierten Pflanzen entsprechend reguliert werden müssen. Pflanzen aus klassischen Verfahren, die vor 2001 entwickelt wurden, fallen hingegen unter die sogenannte „Mutagenese-Ausnahme“. Dadurch können Sorten aus klassischer Züchtung (also im Prinzip alle momentan genutzten, einschließlich Bio-Sorten) wie gehabt genutzt und weiterentwickelt werden. Pflanzen, bei denen hingegen Cas9 & Co eingesetzt wurden, sind sehr strengen (und damit teuren) Auflagen unterworfen.
Die EU-Kommission hat jüngst in einer Studie das Potenzial molekularbiologischer Methoden wie dem „Genome Editing“ für eine nachhaltige Landwirtschaft - und damit auch für politische Ziele wie den „European Green Deal“ und die „Farm-to-Fork“-Strategie - unterstrichen. Gleichzeitig kommt die Kommission zu dem Schluss, dass das bestehende Gentechnikrecht aus dem Jahr 2001 nicht geeignet ist, die neuen Methoden angemessen zu regulieren.
>> Pressemitteilung der EU-Kommission985
>> Studie der EU-Kommission>> Pressemitteilun>> Studie der EU-Kommissi
Der Chemie-Nobelpreis 2020 ist an die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna gegangen. Beide haben gemeinsam die Genom-Editierung mit der Genschere Cas9 erfunden und damit das Bearbeiten von Genen innerhalb lebender Zellen revolutioniert.
Wer Technologien wie die Genom-Editierung ablehnt, der schenkt dem Zufall mehr Vertrauen als der Wissenschaft.
Prof. Dr. Andreas Graner (Geschäftsführender Direktor des IPK Leibniz-Instituts)
Aus Sicht der Wissenschaft ist die Genschere kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Instrument zur Bewältigung künftiger Herausforderungen. Dazu zählen der fortschreitende Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung ebenso wie der Wunsch nach einer nachhaltigeren Landwirtschaft und einer gesünderen, vielseitigeren Ernährung. Schon heute ist es möglich, mittels moderner Sequenziertechnologien und der Genschere vorteilhafte Eigenschaften aus alten Akzessionen in moderne Sorten zu übertragen. Doch auch in der Politik ist inzwischen einiges in Bewegung. So wird nach der Studie aus dem Jahr 2021 auf europäischer Ebene eine Reform des bisherigen Rechtsrahmens diskutiert.
Interview mit Prof. Dr. Nicolaus von Wirén, IPK's geschäftsführendem Direktor: "Getreide der Zukunft: Mit der Genschere zu mehr Ertrag" (Mitteldeutscher Rundfunk, MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio, 01/2024)
© IPK Leibniz-Institut 2022
Texte: Christian Schafmeister, Robert Hoffie
Umsetzung: Andreas Bähring
Bildnachweise:
Folie 1; 4; 5; 6 ;7; 8; 14 : Andreas Bähring
Folie 2: Adobe Stock ; Grafiken: Jochen Kumlehn und Sindy Chamas
Folie 10: Von Barnos - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=111047454
Folie 11: Von Luxofluxo - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107742750
Folie 12: Von EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296
Folie 13: Von Gösta Florman (1831–1900) / The Royal Library - Sweden.se credits image to www.imagebank.sweden.se, Gösta Florman / The Royal Library, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2532726